Gezielt gegen Kopfschmerzen

Gezielt gegen Kopfschmerzen

Neurologie:
Wenn es im Kopf fast täglich hämmert oder pocht und Schmerzmittel kaum noch wirken, hilft eine konsequente Therapie.

Manchmal sitzt Ingrid Nicolai morgens auf der Bettkante und weiß nicht, ob sie aufstehen oder sich gleich wieder hinlegen soll. In ihrem Kopf pocht es gewaltig. Wieder eine Attacke. Die letzte ist doch erst ein paar Tage her.

Oft weckt der Schmerz sie schon mitten in der Nacht, legt sich wie ein dicker Ring um ihre Stirn, und die 47-Jährige weiß: Der Tag ist gelaufen, bevor er überhaupt angefangen hat. Wenn sie Glück hat, vertreibt ein starker schwarzer Kaffee das Pochen, aber meistens bessern sich die Kopfschmerzen auch nach der dritten Tasse nicht.

Die Journalistin aus Wiesbaden nimmt dann eine Schmerztablette und fährt ins Büro, nur ganz selten bleibt sie wegen Kopfschmerzen zu Hause. „Ich trage Verantwortung, ich muss funktionieren, ich will funktionieren." Nicolai arbeitet bei einer Tageszeitung als stellvertretende Leiterin des Lokalressorts. Ihre Tage sind hektisch und lang, im Großraumbüro ist es laut, Zeit für eine Mittagspause nimmt sie sich kaum - höchstens für ein belegtes Brötchen am Schreibtisch. Am Abend ist die Zeitung druckfertig, und Nicolai kann sich nicht mehr erinnern, was sie gegessen hat.

So sieht ihr Alltag aus - doch in der Migräne- und Kopfschmerz-Klinik Königstein (Taunus) ist er weit weg. Dicke Teppiche schlucken überflüssigen Lärm, statt Kaffee gibt es Tee, außerdem regelmäßige Mahlzeiten, leichtes Ausdauertraining und Entspannungsübungen. Auf einem blauen Sofa lehnt sich Ingrid Nicolai zurück. Fröhlich und dynamisch sieht sie aus - nicht wie jemand, der seit 20 Jahren fast jede Woche mit Kopfschmerzen und Migräne kämpft. Ein Schicksal, das sie mit vielen teilt. Allein in Deutschland leiden acht Millionen Menschen an chronischen Kopfschmerzen. Chronisch bedeutet: Durchschnittlich jeden zweiten Tag plagt die Betroffenen ein Pochen, Drücken oder Hämmern im Kopf.

Der falsche Umgang mit Stress

Spannungskopfschmerzen sind häufig weniger stark als Migräne, können aber bis zu sieben Tage andauern. Meist verschwinden sie mit etwas Bewegung oder an der frischen Luft. Für Patienten wie Ingrid Nicolai, die fast täglich eine „Matschbirne" haben, ein schwacher Trost. Außerdem, sagt Nicolai, könne sie oft nicht erkennen: „Wird das jetzt eine Migräne oder ein normaler Kopfschmerz?" Die Spannungskopfschmerzen bekommt sie mit einem Spaziergang vielleicht noch in den Griff, die Migräne wird durch Bewegung nur schlimmer. Dann braucht Nicolai Ruhe und Dunkelheit. Sie war Ende 20, als die erste Attacke ihr den Boden unter den Füßen wegzog - mitten in einer schwierigen Trennung. „Heute denke ich, das war damals alles einfach eine Portion zu viel für mich."

Die Ursachen von Kopfschmerzen sind vielfältig und noch nicht umfassend erforscht. Fest steht: Veranlagung spielt eine Rolle, ebenso der falsche Umgang mit Stress. Ingrid Nicolai sagt, sie zerbreche sich oft den Kopf. „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte auf Knopfdruck das Denken ausschalten. Ich liege schon im Bett, aber das Gedankenkarussell läuft immer noch - und wenn ich aufwache, springt es sofort wieder an." Ein Gefühl, das fast alle Patienten eint. „Viele stehen unter Daueranspannung, sie überfordern sich, können schwer Nein sagen. Probleme, ob beruflich oder privat, machen buchstäblich Druck, weil sie nicht gelöst werden", erklärt Dr. Jan Brand, Leiter der Migräne-Klinik Königstein. Dann signalisiert der Körper: Es reicht. „Wenn ich nicht Nein sage, sagt der Kopfschmerz Nein", so Brand.
Experten wie Dr. Charly Gaul, Leiter des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums in Essen, wissen außerdem: „Die Betroffenen nehmen Schmerz sensibler wahr, weil ihr Gehirn ankommende Reize nicht richtig filtert." Kleine Verspannungen zum Beispiel, die andere Menschen kaum registrieren, kann ihr Gehirn nicht ausblenden - es ist ein bisschen wie im Märchen von der Prinzessin auf der Erbse.

Das richtige Schmerzmittel finden

Ständig Kopfschmerzen, ein verspannter Nacken - viele Betroffene vermuten muskuläre Probleme dahinter und wenden sich zuerst an einen Orthopäden. Dabei, so Charly Gaul, haben Kopfschmerzen nichts mit dem Verschleiß der Wirbelsäule zu tun. „Sonst würden wir hauptsächlich 80-Jährige behandeln und nicht Menschen zwischen 20 und 40." Jan Brand fügt hinzu: „Nur etwa acht Prozent der Kopfschmerzen haben körperliche Ursachen wie einen Bandscheibenvorfall oder eine Gefäßentzündung." Er betont: Die erste Anlaufstelle bei Kopfschmerzen sind Hausärzte, Neurologen und Schmerztherapeuten. Sie können Patienten am besten darüber beraten, welche Schmerzmittel die richtigen sind, und sie so auch davor bewahren, zu viele zu nehmen.

Bei gelegentlichen (episodischen) Spannungskopfschmerzen haben sich Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen sowie koffeinhaltige Kombinationspräparate bewährt.
Beim chronischen Typ empfiehlt die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft niedrig dosierte Antidepressiva, etwa Amitriptylin, für die tägliche Vorbeugung. Nicht, weil Kopfschmerz-Patienten besonders depressiv wären; die Mittel verstärken vielmehr die Schmerzhemmung, das Gehirn kann Reize wieder besser filtern und reagiert weniger sensibel. Auch moderne Triptane bekämpfen Migräne-Attacken erfolgreich. Einige dieser Präparate sind mittlerweile rezeptfrei erhältlich. In manchen Fällen empfehlen Neurologen, mit Betablockern vorzubeugen.

Wenn es im Kopf wieder hämmert, rät Experte Brand: „Sich zurückziehen, Stopp sagen, sich hinlegen. Oft helfen Entspannungsübungen oder pflanzliche Mittel wie Pfefferminzöl." Bleibt die Besserung aus, darf man eine Tablette schlucken. Aber auch wenn sie gleich wirkt, sollte man sich ausruhen und nicht sofort zum nächsten Termin hetzen.

Als Faustregel für Schmerzmittel gilt: An maximal zehn Tagen im Monat und an maximal drei aufeinanderfolgenden Tagen ist ein Medikament erlaubt. Zu viele Pillen können die Beschwerden nicht nur verstärken, sondern darüber hinaus zu „medikamenteninduziertem" Kopfschmerz führen. Für einige Betroffene steht deshalb am Anfang der Therapie ein Entzug. „Wer dreimal in der Woche eine Tablette braucht, sollte über eine Prophylaxe nachdenken", sagt Jan Brand. Auch Magnesium kann sinnvoll sein. In einem Kopfschmerztagebuch sollten Betroffene notieren, wann sie welches Präparat eingenommen haben.

Ingrid Nicolai achtet darauf, bei Beschwerden nicht gleich Medikamente zu nehmen. Aber sie kennt Phasen, in denen ihr nur eine Tablette half, den Arbeitstag durchzustehen. „Doping" nennt das Brand trocken, wenn Kopfschmerz-Patienten auf diese Weise versuchen zu funktionieren. In der Klinik gibt es keine Schmerzmittel, höchstens „schmerzdistanzierende" Präparate wie leichte Antidepressiva.
Die erste Attacke traf Ingrid Nicolai gleich in der ersten Woche in Königstein. „Nichts dagegen tun zu können, das war hart. Aber hier wurde ich wunderbar aufgefangen." Lange konnte sie sich nicht vorstellen, eine stationäre Therapie zu machen - es waren doch „nur" Kopfschmerzen. Also besuchte sie regelmäßig die Ambulanz, führte ein Kopfschmerz-Tagebuch und probierte verschiedene Triptane gegen die Migräne aus. Bis sie merkte: Sie muss sich drei Wochen ausklinken, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen.

Die Überforderung erkennen

Die Daueranspannung, so Jan Brand, lässt sich nicht von heute auf morgen lösen. „Wir helfen den Patienten herauszufinden: Was will mir der Kopfschmerz sagen? Wo habe ich mich überfordert?" Dazu gehören Entspannungsmethoden, Physiotherapie, leichter Ausdauersport und Stressmanagement. „Ändere ich mich, ändert sich der Kopfschmerz", sagt Brand.

Erkennen, wo es im Leben hakt, und daraus Konsequenzen ziehen ist nicht einfach. Ingrid Nicolai hat notiert, was sie nach der Zeit in Königstein verbessern will: zwei Liter täglich trinken, jeden Tag einige Minuten entspannen, in der Mittagspause in Ruhe etwas essen, rausgehen, sich abends noch mal bewegen. „Ich will herausfinden, was mir wirklich gut tut, und vor allem das richtige Maß finden." Klar - die nächste Attacke wird kommen. „Aber dann kann ich damit umgehen", sagt Ingrid Nicolai und lacht. „Ich bin hier schon viel gelassener geworden."